© Conny Reinhard
Hallo Conny. Dein aktueller Roman „Enge Bande“ handelt von zwei unterschiedlichen Frauen, die sich unsterblich ineinander verlieben: Nadine, eine Bibliothekarin, die sich tagtäglich mit familiären Problemen herumquält, und Anja, eine Reisebürokauffrau, die sich nach der Geborgenheit einer Familie sehnt. Sie genießen ihr Glück, doch was niemand von ihnen ahnt: Anja ist die uneheliche Tochter von Nadines Vater … Wie bist du auf die Idee gekommen, einen Roman mit dieser Thematik zu schreiben? Wie sah die Recherche im Vorfeld dazu aus?
Conny: Vor Jahren bin ich in den Medien auf die wahre Geschichte eines heterosexuellen Geschwisterpaares gestoßen, das in Unkenntnis ihrer engen Familienbande sich ineinander verliebte und eine Beziehung einging. Es blieb zusammen, als ihr Verwandtschaftsgrad herauskam, auch wenn das drastische Konsequenzen für sie beide zur Folge hatte. Mich hat das damals sehr berührt, auch wenn ich nicht weiß, wie diese Geschichte zu Ende ging. Ich habe mich damals gefragt, wie ich da wohl reagiert hätte. Da ich lesbisch bin und da zwar gewiss auch meine Skrupel gehabt hätte, wäre es wohl für mich nicht die große Katastrophe gewesen. So ging ich einen Schritt weiter und überlegte, inwiefern es für eine lesbische Frau eben doch dramatisch gewesen wäre. So kam ein extrem belastetes Verhältnis zum Vater hinzu, et voilà, die Grundidee für „Enge Bande“ war gelegt. Die Recherche bestand vor allem darin, die rechtlichen Normen und Urteile zum Thema Inzest zu studieren. Erstaunlicherweise fand ich dabei kaum etwas über gleichgeschlechtliche Geschwister- und Liebespaare.
Wie bei deinem Roman „Das Leuchten des Almfeuers“(HOMO Littera, 2013) hast du auch bei „Enge Bande“ ein Thema aufgegriffen, das nicht nur unter die Haut geht, sondern in lesbischen Büchern eher selten vorkommt. War es in „Das Leuchten des Almfeuers“ das lesbische Paar im Milieu eines Heimatromans der 60er Jahre, so ist es in „Enge Band“ die Liebe zweier Frauen zueinander, die Geschwister sind. Du schreibst damit außerhalb des Mainstreams, und dennoch sind deine Bücher immer sehr erfolgreich. Warum suchst du dir schwierige Themen aus? Warum nicht mit dem Mainstream gehen?
Conny: Zum einen mag ich als Leserin und Zuschauerin oftmals ganz gerne Themen jenseits des Mainstreams, zum anderen ist es auch eine Frage der Inspiration für eine Geschichte. Freilich schätze ich auch die klassischen 08/15-Bücher und Filme, aber solche Storys zu erzählen, reizt mich bislang eher weniger. Ich habe mich mal an einem typisch klassischen Liebesroman versucht, habe aber nach drei Monaten genervt abgebrochen, weil mich die Figuren irgendwie kalt ließen und die Handlung eher gelangweilt hat. Wahrscheinlich liegt es darin, dass es für mich einen gewaltigen Unterschied macht, ob ich mit Mainstream-Unterhaltung oder Kultur einige Stunden oder Tage verbringe, wie beim Lesen oder Schauen, oder viele Wochen und Monate, da braucht es für mich als Autorin etwas Sperrigeres und Außergewöhnlicheres.
Du nimmst in „Enge Bande“ §173 des Deutschen Strafgesetzbuches, Beischlaf zwischen Verwandten, auf. Der Paragraph kennt keine Einschränkungen auf heterosexuelle Beziehungen, sondern stellt ausnahmsweise hetero- und homosexuelle Beziehungen auf dieselbe Stufe. Die ursprüngliche Intention für diesen Paragraphen war jedoch die Vermeidung von Inzucht, wodurch man ableiten könnte, dass er für homosexuelle Beziehungen nicht relevant ist. Wie stehst du zu diesem Thema?
Conny: Ich bin keine Juristin, aber nach meinem Rechtsempfinden und meinem Wissen über das Grundgesetz sollten nach wie vor keine Unterschiede zwischen hetero- und homosexuellen Inzest-Beziehungen gemacht werden. Der §173 gehört jedoch meines Erachtens reformiert. Geschwisterlicher Inzest unter Volljährigen, bei dem nicht die etwaige Hilfsbedürftigkeit oder Abhängigkeit eines Parts benutzt wird, sollte straffrei werden; anderer, wie der sexuelle Missbrauch von Elternteilen an ihren Kindern, sogar schwerer geahndet werden. Mir ging es in dem Roman auch darum, aufzuzeigen, dass bei Inzest genau zwischen Freiwilligkeit der Beteiligten und handfestem Missbrauch differenziert werden muss.
Welche Rückmeldungen aus deinem näheren Umfeld hast du bezüglich dieser Thematik erhalten?
Conny: Meine Leute waren zunächst einmal neugierig, wie ich diese Thematik umgesetzt hatte. Als sie dann den Roman gelesen haben, war es für sie sehr interessant zu erfahren, dass sie allesamt Mitgefühl mit dem Geschwisterpaar hatten und auch auf ihrer Seite standen.
Deine Geschichten sind bei den lesbischen Titeln der Amazon-Bestseller-Liste lange auf den vorderen Plätzen. Im lesbischen Belletristik-Bereich bist du auf dem besten Wege eine Institution zu werden. Woran, glaubst du, liegt dieser Erfolg?
Conny: In allererster Linie freue ich mich auf diesen großartigen Zuspruch und möchte mich dafür aufrichtig und herzlich bei meinen Leserinnen und Leser bedanken. Ich denke, das liegt vor allem an zwei Aspekten:
1. Mir ist es wichtig, dass meine Figuren, auch die Nebenrollen, als echte, unterscheidbare Menschen rüberkommen und nicht nur als Stichwortgeber oder eindimensionale Figur-Schablonen. Außerdem wachsen sie mir während des Schreibens sogar ans Herz, wie Nadines kleiner Neffe Leon in „Enge Bande“.
2. Meine Storys schreibe ich aus der inneren Notwendigkeit heraus; die jeweiligen Handlungen und Themen interessieren mich selbst so brennend, sodass ich sie erzählen MUSS. Dieser Funke meiner eigenen Begeisterung scheint zum Glück auf die Leserinnen und Leser überzuspringen.
© HOMO Littera
In „Enge Bande“ gehst du auf die Problematik innerhalb einer Familie ein. Während Nadine ihre Familie oftmals am liebsten verschenken würde, sehnt sich Anja nach familiärer Geborgenheit und Elternliebe. Du sprichst Themen wie Alkoholismus und Untreue an. Viele Leser können sich mit den angesprochenen Problemen identifizieren. Wie wichtig findest du selbst die Familie?
Conny: Da ich für mich „Heimat“ nicht als geographischen Ort oder gar als eine Volksgemeinschaft begreife, sondern vielmehr als Sprache und meine Familie, habe ich natürlich zu letzterer eine äußerst starke Verbundenheit. Was auch daran liegt, dass ich wirklich ungemein liebenswerte, warmherzige, originelle Menschen in meiner Sippe habe, aber ich glaube, das sagen nicht wenige Töchter, Söhne, Schwestern, Brüder usw. Wobei es bei mir neben der Verwandtschaftsfamilie auch Leute gibt, die ich zu meiner Wahlfamilie zähle. Und manche mögen es vielleicht nicht nachvollziehen, auch Tiere können Teil einer Familie sein, so wie bei uns.
Das Thema „Familie“ wird im Moment auch in den Medien bezüglich gleichgeschlechtlicher Paare heiß diskutiert. Viele schwul/lesbische Organisationen kämpfen um die Gleichstellung von nicht heterosexuellen Paaren vor dem Gesetz. Dennoch werden immer wieder Stimmen laut, die das alte Konzept „Vater-Mutter-Kind“ befürworten. Was sagst du dazu?
Conny: Selbstverständlich unterstütze ich die hundertprozentige Gleichstellung von Queers, was auch das Leben mit Kindern beinhaltet. Es gibt diese alten Slogans wie „Jedem nach seiner Façon“ oder „Jedem nach seinen Bedürfnissen, jedem nach seinen Fähigkeiten“, solange nicht die Rechte und Freiheiten von anderen dadurch beschnitten werden, ist das auch meine felsenfeste Überzeugung. Im familiären Zusammenhang heißt das für mich, dass selbstverständlich das Kindeswohl an erster Stelle steht, dies ist jedoch, wie unabhängige Studien belegen, sowohl in hetero- als auch in homosexuellen und alleinerziehenden Konstellationen gewährleistet. Außerdem zeugt es für mich von extremer Borniertheit, wenn jemand seinen klassischen Lebensstil durch die Existenz von alternativen Lebensentwürfen und deren Akzeptanz herabgewürdigt sieht.
Denkst du, dass du mit deinen Büchern etwas zur Toleranz und Akzeptanz von homosexuellen Menschen beitragen kannst? Was würdest du dir bezüglich Gleichstellung für die Zukunft wünschen?
Conny: Da homophobe Gestalten oder Menschen, die mit Queers ihre Probleme haben, eher nicht zu meinen Büchern greifen, halte ich deren Einfluss zu mehr Akzeptanz diesbezüglich eher für gering. Aber da glücklicherweise offen eingestellte Heterosexuelle meine Geschichten lesen, hoffe ich, dass sie dadurch zu unseren „Friends“ werden, falls sie es noch nicht sind, und mit uns für eine offene, fortschrittliche Gesellschaft kämpfen. Für die Zukunft wünsche ich mir neben Frieden, ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit eine Gesellschaft, in der Menschen, die jenseits der klassischen, heterosexuellen Beziehungsform leben, absolut gleichberechtigt sind, d.h., dass es dann keine unterschiedlichen Rechtsnormen mehr gibt und in den Köpfen die sexuelle Identität politisch so relevant ist wie Haarfarbe oder Links-/Rechtshändigkeit.
Das wünschen wir uns auch! Wir bedanken uns herzlichst für das Interview und wünschen dir weiterhin alles Gute und viel Erfolg!
„Enge Bande“ ist seit April 2016 im Buchhandel und in den meisten Online-Shops erhältlich.